Eine Übersetzung des englischsprachigen Blogbeitrags: Kenya 2019 — My Experiences During My Semester Abroad” von Aby LeMarchal.
Als ich mein Studium der Anthropologie begann, wusste ich schon, dass es im Auslandssemester spannend für mich wird. Als ich 2018 zufällig den Instagram-Account des Kinderheims Nipe Tumaini besuchte, hätte ich nicht damit gerechnet, dass ich dort ein Jahr später ethnographische Forschungen durchführen würde.
Zunächst habe ich mir die Webseite des Projekts angeschaut und von Beginn an war ich berührt von der Geschichte: ein kenianischer Mann, der sein Leben widmete, um vernachlässigte (Waisen-)Kinder zu helfen und dafür ein Grundstück kaufte.
Über Nipe Tumaini
Getrieben von seiner Motivation und der Unterstützung vieler anderer Menschen, hat er es 2009 geschafft, ein Kinderheim zu eröffnen. Seitdem nennen Kinder aus unterschiedlichen Hintergründen — Waisen und von ihren Eltern vernachlässigte Kinder — Nipe Tumaini ihr zuhause.
Übrigens ist „Nipe Tumaini” ein Ausdruck aus dem Suaheli und bedeutet „Gib mir Hoffnung” — und dies ist genau das, was diese Organisation auch tut: Kindern Hoffnung für ein besseres Leben und den Zugang zu Bildung schenken. Soweit ein Einblick in die Anfänge der Arbeit von Nipe Tumaini.

Nachdem ich mehr über die Leute hinter dem Projekt erfahren habe, wollte ich diese schließlich kennenlernen, wollte mehr über die Hintergründe dieser wunderbaren Kinder erfahren, wollte diesen Ort besuchen.
Das Abenteuer beginnt
Glücklicherweise war der Gründer, Benson Mungai mit meinem Plan einverstanden, die Organisation zu besuchen und meine Forschungen in Kenia zu unternehmen. Nachdem alle Vorbereitungen abgeschlossen waren, wusste ich, dass diese Reise mich auf eine bestimmte Weise verändern wird — und JA, dazu ist es auch gekommen!
Mein Abenteuer begann am 1. August 2019 mit der Ankunft am „Jomo Kenyatta International Airport” in Nairobi. Das Flugzeug landete in der Nacht, sodass die Kinder schon schliefen, als ich bei Nipe Tumaini ankam.
Am nächsten Morgen wurde ich von den Stimmen der spielenden Kids draußen geweckt. Ich schaute aus dem Fenster und der Anblick füllte mein Herz mit Liebe. Ich freute mich, die nächsten Wochen mit diesen Kindern zu verbringen und die kenianische Kultur kennenzulernen.
Nachdem mir Mom (meine Gastmutter) die Kindern vorgestellt und mir mein neues Zuhause gezeigt hat, konnte ich meine Arbeit vor Ort starten und eine Auflistung der Kinder mit Namen und Alter sowie (falls bekannt) persönlichen Hintergründen erstellen.
Die meisten der Kinder waren sehr schüchtern und es brauchte ein paar Tage, bis sie sich daran gewöhnten, dass ich mit ihnen lebte. Doch ab dann waren sie kaum noch von mir loszubekommen, was mich sehr glücklich machte. Ich liebte es, mit ihnen zu knuddeln und zu spielen. Obwohl mein Suaheli nicht das beste war, konnten wir doch auf Englisch oder mit der Hilfe meiner Gasteltern kommunizieren.
Berührende Geschichten
Nach ein paar Tagen wollte ich mehr über diese wundervollen Kinder wissen, die nicht genug davon bekamen, gemeinsam mit mir auf Spielplatz zu gehen. Für meine Forschung, aber auch aus persönlichem Interesse, war es mir wichtig, mehr über das Leben der Kinder ihrer Zeit bei Nipe Tumaini zu erfahren. Also fragte ich meine Gastmutter und sie erzählte mir herzzerbrechende Geschichten.
Manche Kinder wurden zu Aufnahmestellen gebracht, weil ihre Familien sich nicht mehr um sie kümmern konnten. Ein Grund dafür war Armut, die leider sehr verbreitet in den meisten afrikanischen Ländern ist. In anderen Fällen starben die Eltern und die Großeltern waren zu alt, um die Kinder zu versorgen und zu erziehen.
Eines von ihnen war zum Beispiel Waisenkind, weil beide Eltern bei einem Autounfall gestorben sind. Dies sind ein paar Gründe, warum manche der Kinder zu Nipe Tumaini gekommen sind. In manchen Fällen sind deren Hintergründe aber auch unbekannt.
Das Jüngste war zwei Jahre alt. Diese meisten Kinder wussten nicht einmal genau, warum sie verlassen wurden und warum sie in einem Kinderheim lebten. Umso beeindruckender war es zu sehen, wie glücklich sie zu sein schienen, bei Nipe Tumaini zu leben.

Die starke Frau im Projekt
Meine Gasteltern versuchten, ihnen eine so gute Kindheit wie möglich zu schenken. Sich um 13 Kinder zu kümmern, war wirklich ein schwieriger Job.
Ich war von meiner Gastmutter beeindruckt, die nicht nur Lehrerin, sondern auch Hausfrau war — und somit zwei Jobs gleichzeitig unter einen Hut brachte. Manche mögen jetzt sagen, dass Mutter sein und zur Arbeit gehen doch nichts Besonderes sei — aber ich denke, das ist es doch angesichts der Umstände: Diese afrikanische Frau ist für 13 Kinder da, geht arbeiten, ist mit Armut um sich herum konfrontiert und versucht dabei immer noch ihr Bestes zu geben.
Ich habe gesehen, zu was afrikanische Frauen fähig sind, wie stark sie sind! Was ich an dieser Stelle gerne rüberbringen möchte: Sie liebte diese Kinder als wären sie ihre eigenen – sie machte keine Unterschiede zwischen ihren leiblichen und aufgenommenen Kinder. Ich lernte, wie pure Mutterliebe aussieht und dass Familie NICHT unbedingt etwas mit den Genen zu tun hat.
Ich genoss es nicht nur mit den Kindern zu spielen, sondern auch mit meiner Gastmutter kenianisches Essen zu kochen. Mein Lieblingsessen war Chapati. Solltest du jemals die Möglichkeit haben nach Kenia zu gehen, musst du es unbedingt probieren.

Prägende Erfahrungen & Erkenntnisse
Seitdem ich im Alter von vier Jahren nach Deutschland gezogen bin, war ich nur einmal in Afrika – im Ägypten-Urlaub 2015. Darum haben mich diese Erfahrungen in Kenia in einer Weise verändert, die ich nicht erwartet hätte.
Ich lernte die Art und Weise kennen, wie afrikanische Eltern ihr Kinder erziehen. Neben all den Schwierigkeiten, mit denen diese Eltern konfrontiert sind, versuchen sie immer noch das Positive in den Dingen des Lebens zu sehen. Diese Art zu leben beeindruckte mich, denn ich sah, wie sie immer noch das Beste aus jeder Situation machen konnten, egal wie hart das Leben manchmal sein konnte.
Die meisten Menschen (ich inbegriffen) neigen dazu, all diese Segnungen zu übersehen und lieber auf das Negative zu schauen. Das Leben in Kenia zeigte mir, dankbarer zu sein, anstatt alles für selbstverständlich zu nehmen. Es mag gewöhnlich klingen, aber in einer anderen Kultur zu leben, führt einen diese Dinge noch einmal stärker vor Augen.
Afrikaner leben fröhlicher und das war so faszinierend für mich. Wir aus der westlichen Welt nehmen so viele Dinge auf so unterschiedliche Weisen für selbstverständlich. Die Zeit in Kenia lehrte mich, bewusster zu leben.
Und es machte mir bewusst, wie wertvoll es ist, eine gesunde Familie zu haben und von dieser geliebt zu werden. Die Gegenwart dieser bewundernswerten Kinder zeigte mir, wie wunderbar Mutterschaft sein kann und wie gerne ich eines Tages Mutter sein möchte.
Eine untrennbare Verbindung
Ich habe mich besonders in Faith verliebt (Ich vermute, dass manche von euch das schon wissen). Sie war so eine Süße – es fühlte sich an, als ob ich sie schon kannte, bevor ich nach Kenia flog. Wir waren einfach unzertrennlich. Ich liebte es mir ihr zu knuddeln, ihr zu Essen zu geben und mit ihr zu spielen. Es war so, als hätten wir eine spezielle Verbindung und ich musste viel weinen als ich auf dem Weg zum Flughafen zurück nach Deutschland war – so sehr hatte ich mich an ihre Gegenwart gewöhnt.

Begegnung mit der kenianischen Kultur
Nach Kenia zu reisen gab mir zudem die Möglichkeit, meinen kulturellen Horizont zu erweitern. Ich habe eine kenianische Hochzeit besucht, was wirklich wunderbar war: von den bunten Kleidern, über die kenianische Musik, die Lust am Leben der Menschen, bis hin zum Essen und vielem mehr.
Als Afrikanerin habe ich die afrikanische Sonne genossen, die die meiste Zeit schien. Natürlich war es nachher wieder hart, mich an das deutsche Wetter zu gewöhnen. 🙂
Außerdem war ich überwältigt von der Freundlichkeit aller Menschen, die ich traf. Ich wurde als Mitglied dieser großen Familien angesehen.
„Wir möchten, dass du weißt: Dies dein zweites Zuhause”, wiederholten meine Gasteltern immer wieder. Und tatsächlich — als ich nach Deutschland zurückkehrte, war ich mir sicher, dass ich (meine zweite) Familie zurückgelassen hatte.

Fazit meines Aufenthaltes in Kenia
Bis heute bin ich noch im Kontakt mit meiner Gastmutter. Ich wäre länger geblieben, aber aufgrund persönlicher Gründe musste ich früher gehen als geplant. Dennoch habe ich die Zeit in Kenia genossen. Ich bin nicht nur auf persönlicher, sondern auch auf akademischer Ebene gewachsen.
Es war meine erste anthropologische Forschung, die in der Tat eine besondere war, weil ich neue Freunde und eine (erweiterte) Familie dazugewonnen habe. An dieser Stelle möchte ich mich bei Nipe Tumaini, meiner Gastfamilie und all den Kindern bedanken, die meine Zeit zu etwas Besonderem gemacht haben. Ihr habt mir Gelegenheit gegeben zu wachsen! Ich werde diese Erinnerungen, die ich in Kenia gemacht habe, tief in meinem Herzen behalten.
Übrigens war meine Forschungsfrage „Wie definieren kenianische Waisen(-kinder) das Konzept von Familie?”, die sich nachher wandelte in „Gute Kindheit und Erziehung im kulturellen Kontext — eine ethnologische Forschung in Kenia” und Gegenstand meiner Abschlussarbeit wurde.