„Perspektivwechsel“ – unter diesem Motto standen unsere diesjährigen Weihnachtsgottesdienste. Wie passend das doch war, denn genau einen solchen Perspektivwechsel erhoffte ich mir auch von meiner kurz darauf anstehenden Reise nach Kenia. Schon im Herbst ´21 überkam mich das Verlangen nach einer Auszeit. Zu leid war ich all die schlechten Nachrichten jeden Tag in Radio, Print und TV, die grundsätzlich schlechte Stimmung, das ständige Nörgeln und Quengeln „wie schrecklich doch gerade alles sei“. Wie ein Ruf des Himmels erreichte mich dann Anfang November eine Mail des Vereins „Nipe Tumaini e.V.“, in der dessen Vorsitzende Johannes Käser die Empfänger seiner Mail darüber informierte, dass er Anfang Januar ´22 für 10 Tage nach Kenia reisen würde und gerne bereit wäre, interessierte Menschen mitzunehmen. Er bewarb dies mit folgenden Worten:
„Vielleicht ist das ja ne spannende Auszeit, oder genau das richtige Abenteuer für dich? Mal nen anderen Blickwinkel auf die Welt bekommen, Gott und dich selbst mal in einem anderen Kontext erleben, eine andere Kultur kennenlernen, Mithelfen, einen Baum pflanzen, Kinderlachen, tolle Menschen… Wenn das spannend für dich klingt, dann melde dich gerne bei mir.“
Ein paar Tage und ein kurzes Kennenlern-Treffen später waren meine Flüge gebucht. Zu interessant und faszinierend klang das Projekt für mich, von dem Johannes und Ben mir bei diesem Treffen erzählten. Nipe Tumaini leitet sich aus dem Kisuaheli ab und bedeutet übersetzt „Gib mir Hoffnung!“. Diese Aufforderung bringt den Auftrag des Vereins auf den Punkt. Sie möchten Kindern in Kenia neue Hoffnung schenken. Dafür haben sie gemeinsam mit dem Kenianer Benson Mungai 60 Kilometer nordwestlich von der der kenianischen Hauptstadt Nairobi entfernt, Ende 2014 ein erstes Wohnhaus fertiggestellt, das seit dem 12 vernachlässigten Kindern und einem Elternpaar ein neues Zuhause bietet. Mittlerweile ist das Grundstück von Nipe Tumaini etwa 10 Fußballfelder groß und umfasst zwei Wohnhäuser, die als Zuhause für nun schon 20 Waisenkinder genutzt werden, eine Grundschule, in der rund 80 Kinder unterrichtet werden, ein Wohngebäude für die Lehrer der Schule sowie eine Farm, die das Projekt mit frischen Nahrungsmitteln versorgt. Was für eine Entwicklung, was für ein gesegnetes Projekt. Das wollte, nein…das musste ich mir einfach anschauen.
Es war eine Reise, die rückblickend viel mehr als nur einen Perspektivwechsel in mir auslöste. Es war eine Reise in eine andere Welt. Eine Welt voller Gastfreundschaft, Freundlichkeit, Wärme und Optimismus. Und das obwohl die Menschen und vor allem die Kinder von Nipe Tumaini von Armut, Trockenheit, Hitze und Leid wortwörtlich umgeben sind. Denn das Grundstück von Nipe Tumaini befindet sich mitten im Rift Valley, ca. 25 Minuten von der nächsten asphaltierten Straße und dem nächsten Ort entfernt, in einer trockenen und verstaubten wüstenähnlichen Landschaft. Eine Gegend, die auf den ersten Blick nicht gerade zum Glücklichsein einlädt. Dazu kommen die traurigen Schicksale der einzelnen Kinder, die in ihren jungen Jahren vermutlich schon mehr Leid und Enttäuschungen erfahren mussten, als die meisten von uns in ihrem ganzen Leben. Und doch habe ich dort auf dem Gelände mitten in der Wüste in den 10 Tagen mehr positive Energie, mehr Gastfreundschaft und mehr Freude gespürt als den vielen Wochen zuvor hier in Deutschland, wo Maskenpflicht und Impfkontrolle die scheinbar schlimmsten nur vorstellbaren Dinge der Welt darstellen.
Der auf dem Gelände von Nipe Tumaini gelebte und von Gottes Liebe geprägte und respektvolle Umgang mit den Kindern im Alter zwischen 2 und 12 Jahren stellt sie und ihre Gaben in den Mittelpunkt, um sie zu ermutigen und zu einem selbstbestimmten Leben zu befähigen. Genau das spüren die Kinder und sie sind dankbar für das, was ihnen dort ermöglicht wird. Und das wiederum habe ich als Gast in den 10 Tagen jede Minute auf dem Gelände gespürt, denn wohin ich auch ging wurde ich mit einem Kinderlächeln begrüßt oder begleitet.
Die zwei schönsten Augenblicke und Erinnerungen in dieser Zeit möchte ich gerne mit Euch teilen, denn ohne Euch und Eure finanzielle Unterstützung wären sie vermutlich nicht möglich gewesen.
Das Schwimmbad-Fest, ein Basketballkorb und eine Trompete
Mit den an den Weihnachtsgottesdiensten gesammelten Kollekten konnten wir den 20 Kindern von Nipe Tumaini u.a. eine neue Trompete für ihren Musikunterricht aus Deutschland mitbringen. Viel schöner und einprägsamer war jedoch ein für vermutlich die meisten Kinder unvergesslicher Tag in einem nahegelegenen Resort mit Swimming-Pool, den wir ihnen Dank Eurer Spenden ermöglichen konnten. Für einige der Kinder war es das erste Mal überhaupt in ihrem Leben, das sie in einem Schwimmbad waren und im kühlen Nass planschen konnten. Die Überraschung und die Freude in ihren Gesichtern zu sehen war einfach einmalig! Dazu gab es Pommes, Würstchen und Softdrinks für jeden. Ein Tag, den die Kinder und auch ich ganz sicher so schnell nicht vergessen werden.
Als etwas aufwendiger, aber nicht weniger lohnenswert erwies sich meine Idee, den Kindern einen Basketballkorb auf ihren Schulhof zu bauen. Die sehr stark variierenden Wetterbedingungen vor Ort (sengende Hitze, starke Winde, starke Regenfälle in den Regenmonaten) erforderten eine stabile und langanhaltende Lösung. Dafür mussten wir zunächst die Einzelteile, wie z.B. ein 3,50 m langes Stahlrohr, eine Stahlplatte zur Befestigung, ein stabiles Holzbrett, wetterbeständige Farbe, den Ring, viele Schrauben usw. in den lokalen Einkaufsmöglichkeiten besorgen. Ein Unterfangen, das viel Geduld, Flexibilität und Improvisation erforderte. Als dann alles besorgt und zum Grundstück von Nipe Tumaini transportiert war, begann der Zusammenbau. Es musste ein tiefes Loch gebuddelt werden, ein Zementfundament gegossen werden, geschweißt, lackiert, geschraubt und aufgestellt werden. Das zog sich über mehrere Tage hin. Doch der Lohn für die Mühen sollte großartig werden. Am vorletzten Tag meines Aufenthaltes war es dann endlich soweit, der Korb hing und er war wirklich gut geworden. Nach Schulschluss um 16 Uhr versammelten sich immer mehr Kinder davor und betrachteten das neue Schulhofungeheuer zunächst mit ihren großen Augen. Doch als ich dann die zwei aus Deutschland mitgebrachten Basketbälle auspackte und ihnen kurz vormachte, wie das Spiel funktioniert, gab es kein Halten mehr. Die Freude war riesig. Bis zu 30 Kinder stellten sich in Windeseile in eine geordnete Schlange auf und jedes Kind durfte versuchen, den Ball in den ca. 3 m hohen Korb zu werfen. Jeder Treffer wurde lautstark gefeiert. Es war großartig. Ich setzte mich ein paar Meter entfernt auf einen Stein, genoss die Freude und den Spaß der Kinder und sog all dieses Glück und die positiven Gefühle tief in mich auf. Das war der Moment meines persönlichen Perspektivwechsels!
Es geht nicht darum, sich immer nur auf das Negative und die Einschränkungen zu fokussieren, die man zeitweise vielleicht erdulden muss. Es geht vielmehr darum, die positiven und schönen Momente zu genießen. Diese Kinder haben keine Familien mehr, sie wurden geschlagen, missbraucht oder auf der Straße liegen gelassen. Doch das hindert sie nicht daran, sich in diesen Momenten einfach nur aus vollem Herzen über einen Basketballkorb oder einen Schwimmbadbesuch zu freuen. Wieso gelingt uns das nicht, nur weil wir vielleicht beim Einkaufen eine Maske tragen müssen oder in 3 Monaten noch einmal eine kleine Spritze in den Arm bekommen müssen. Was hindert uns / was hindert mich daran, viel öfter glücklich zu sein und die schönen Momente, die mir geschenkt werden, viel mehr zu geniessen und wertzuschätzen? Ich habe das Gefühl, dass bei uns all die negativen Nachrichten und Einschränkungen wie eine Decke über den guten Momenten liegen und diese somit nicht zu ihrer Entfaltung kommen lassen. Wieviel schlauer ist es doch, wie es die Kinder in Kenia machen. Sie lassen die guten Momente und schönen Erlebnisse auf die traurigen Erinnerungen in ihrem Leben scheinen, so dass diese zumindest zeitweise einfach überstrahlt werden. Das macht doch viel mehr Sinn und ist viel gesünder! Also lasst es uns ihnen doch einfach gleichtun.
Sebastian